Eine Dokumentation von Walter Gellert

Belzig, die frühere Grenzstadt zwischen Sachsen und Brandenburg, hatte im Verlauf der Geschichte oft schwer unter kriegerischen Ereignissen zu leiden. Besonders im Dreißigjährigen Krieg, im Mai des Jahre 1636, wurde die Stadt fast vollständig zerstört, so daß nach dem Ende dieses Krieges nur noch 90 Einwohner in der Stadt lebten. Nachdem 300 Jahre vergangen waren, drohte der Stadt das gleiche Schicksal erneut. Am Ende des Monats April des Jahres 1945, als der verbrecherische Raubkrieg des Faschismus kurz vor seinem Abschluß stand, rückte die Kampffront immer näher an Belzig heran. Tage und nächtelang grollten die sowjetischen Geschütze. Im Raum Treuenbrietzen-Niemegk hatten sich Kampfeinheiten der faschistischen Armee Wenk, zu,m Entlastungsstoß auf Berlin angesetzt, zum letzten verzweifelten Ringen gestellt. In diese Kampfeinheiten waren viele 16-17jährige Jünglinge hineingepreßt worden, die kaum eine waffentechnische Ausbildung erhalten hatten. Es war ein Verbrechen, diese jungen Menschen für eine aussichtslose Sache in den Tod zu jagen.

Ausgestorben

Immer näher rückte die sowjetische Armee an Belzig heran. Truppenteile des zur Armee Wenk gehörigen Regiments „Theodor Körner“ besetzten die Stadt und begannen an den östlichen Ortsausgängen Stellungen auszubauen und Geschütze aufzustellen. Eine Batterie schwerer Eisenbahngeschütze richtete ihr Feuer von der Eisenbahnlinie Berlin-Belzig auf Treuenbrietzen. Aus Treuenbrietzen und den umliegenden Dörfern kamen zahlreiche Flüchtlinge, die mit ihren Erzählungen die Bewohner in Angst und Schrecken versetzten. So ist folgendes verständlich: Als in der Nacht vom 25. zum 26. April die Sirenen Panzeralarm gaben, begab sich fast die gesamte Einwohnerschaft der Stadt mit Handwagen und sonstigen Fahrzeugen auf die Flucht in Richtung Görzke und Wiesenburg. Am nächsten Tage glich Belzig einer ausgestorbenen Stadt. Die russischen Panzer stießen aber nicht bis Belzig vor, und als sie auch in den nächsten Tagen ausblieben, kehrten die meisten Einwohner in ihre Wohnungen zurück.

Die Lage

Eine Abteilung des Oberkommandos der Wehrmacht, dessen Standquartier sich im Barackenlager an der Bergholzer Straße befand, hatte Belzig bereits verlassen. Die Technische Nothilfe, die in der Burg Eisenhardt untergebracht war, und der Belziger Volkssturm waren aufgelöst. Aus dem Fremdarbeiterlager des Werkes Röderhof strömten die zur Arbeit gepreßten Ausländer in die Stadt und versuchten darüber hinaus Anschluß an die Sowjetarmee zu bekommen. In der Munitionsfabrik waren auch über 400 weibliche KZ-Häftlinge aus dem Konzentrationslager Ravensbrück zur Zwangsarbeit eingesetzt, sie wurden einige Tage zuvor von der SS in Richtung Görzke abtransportiert.

Ein Chaos

So war die Lage in Belzig, als der 1. Mai herankam. In der Nacht zuvor war der Ortsgruppenleiter Witte, der bis zuletzt großsprecherisch erklärt hatte, daß nur über seine Leiche der Russe in Belzig herein käme, mit seinem Anhang nach dem Westen geflüchtet. An diesem 1. Mai nun zogen die geschlagenen Truppen der Armee Wenk durch die Straßen der Stadt. Übermüdet, verdreckt und abgekämpft, boten sie ein Bild der völligen Auflösung. Auf den Straßen lagen weggeworfene Waffen und Stahlhelme, dazwischen saßen und lagen erschöpfte Soldaten auf den Steinen. Endlose Wagenkolonnen mit Flüchtlingen suchten durch all das Chaos nach Westen zu kommen. Selbst die Verwundeten aus den inzwischen aufgelösten Lazaretten versuchten an Krücken und Stöcken die Flucht zur Elbe.

Beherzte Männer

In Belzig waren ein Major der Wehrmacht und 200 Mann zurückgeblieben. Mit ihnen war er gewillt, die Stadt bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen. Schon hatten Belziger Bürger weiße Fahnen an ihre Häuser angebracht, da tauchten SS-Leute auf und schossen in die Fenster dieser Häuser. In diesen schicksalsschweren Stunden fanden sich einige beherzte Männer, die das alte Belzig vor einer erneuten Vernichtung bewahrten. Der Lehrer Arthur Krause und der katholische Pfarrer Tschetschog begaben sich in das Quartier des faschistischen Majors, das sich im Hotel Ehrensack befand. Dort verhandelten sie mit ihm und baten ihn, Belzig zu verschonen. Der Major lehnte dieses ab und bestand auf der Verteidigung der Stadt. Schnell wurde diese ablehnende Antwort in der Stadt bekannt und rief unter der Einwohnerschaft eine große Empörung hevor. Auf dem Marktplatz fand sich eine größere Anzahl aufgeregter Bürger zusammen. Zu ihnen sprach aus einem Fenster des Rathauses heraus der Lehrer Krause. Er forderte sie auf, Ruhe zu bewahren und besonnen den Kampf um die Erhaltung der Heimatstadt zu führen. Es wurde der Beschluß bekanntgegeben, daß im Fall einer faschistischen Verteidigung die Bürger mit weißen Fahnen geschlossen den sowjetischen Truppen entgegenziehen sollten. Nach dem Abschluß dieser Kundgebung begaben sich Lehrer Krause und Pfarrer Tschetschog zu demn Major und machten ihn mit dem Beschluß der Bevölkerung bekannt. Diese einmütige Willenserklärung der Einwohnerschaft von Belzig war nach den 12 Jahren Hitler-Diktatur die erste demokratische Handlung.

Kampflos übergeben

Inzwischen hatte eine Gruppe von 3 Antifaschisten (Willi Franke, Otto Haselhoff, Oskar Nawrath) die 22 Telefonleitungen, die vom Befehlsstand auf der Burg Eisenhardt ausgingen, durchgeschnitten. Eine andere Gruppe hatte die auf den Chausseen angelegten Panzersperren beseitigt. Nach einer weiteren Aussprache mit Pfarrer Tschetschog gab der Major den Plan einer Verteidigung Belzigs auf. In der Nacht verließ er mit seinen 200 Mann die Stadt. Am 2. Mai wehte auf der Burg Eisenhardt sowie an vielen Häusern die weiße Fahne. Kampflos wurde die Stadt der Sowjetarmee übergeben. Die ersten Übergabeverhandlungen wurden von Lehrer Krause geführt. Belzig wurde so vor einer Zerstörung bewahrt.

 

 

 

 

 

 


Quelle: Kreisarchiv Potsdam-Mittelmark, Zeitungsarchiv, Märkische Volksstimme vom 8.5.1964